30.06.2007

600 KM UND KNAPP 5000 HM – RADFAHREN BIS DER ARZT KOMMT!

Wie die Jungfrau zum Kind, kam ich das letzte Wochenende (29/30. Juni 2007) zu meinem ersten Langstreckenrennen von 600 km.

Oliver Schmidt, der Extremradreisender aus unserer grossen Rohloff-ROTOR-Familie war im Februar/März 2007 bei mir, um in der Schweiz Diavorträge über seine letzte grosse Reise zu halten. Ein paar Wochen später fragte mich Oliver knapp und nüchtern per mail, ob ich mit ihm auf dem Tandem ein Radrennen in der Schweiz fahren möchte. Modus: Strassenrennen 600 km knapp 5000 hm, Karenzzeit 40 h. Als ich die Mail lass, musste ich laut lachen: wie konnte Oliver denken, dass ich so was mache? Und antwortete JA!
Ein paar Wochen später, als ich mal wieder die 630 km von der Schweiz in meine „alte“ Heimat Dresden fuhr, wurde mir erst bewusst, was das bedeutet: 600 km am Stück mit dem Fahrrad!
Olivers Antwort auf meine Zweifel „..mach Dir keine Gedanken, eine gute Grundkondition hast du und der Rest ist Kopfsache“. OK! Wenn es nur eine „Kopfsache“ ist!
Es war soweit. Donnerstagabend trafen wir uns in der Nähe von Bern in Wiedlisbach (Start- und Zielort). Es war ein herzliches Wiedersehen mit wenigen Worten. Wir bereiteten das Tandem für den nächsten Tag vor und so langsam übertrug sich Olivers Gelassenheit auf mich ich. Die tagelange Aufregung und Angst war fürs erste verflogen. Beim abendlichen Parkplatz-Gespräch tauschten die anderen deutschen Teilnehmer ihre Erfahrungen und Erlebnisse von anderen Langstreckenrennen und den Qualifikationskriterien für Paris-Brest-Paris (ca. 1280 km) sowie Race Across America ... (3042 miles) aus. Ich hörte gespannt zu und dachte „FREAKS alles FREAKS“ hier!
Die Teilnehmer der 600 km Distanz waren unterteilt in Elite und Randonneure (Hobby). Die Hobbyfahrer dürften individuell von 6.00 Uhr bis 10.00 Uhr auf die Strecke gehen. Wie in den folgenden zwei Tagen waren Oliver und ich uns schnell einig. Vor 8.00 Uhr starten wir nicht, da wir wenigstens vor dem Rennen noch ein bissl schlafen wollten. Gesagt getan 8.15 Uhr rollten wir ganz allein und völlig unspektakulär durch die Zeitnahme und machten uns auf unsere lange Reise. Da Oliver und ich vorher noch NIE gemeinsam Tandem gefahren sind, dienten die ersten 50 km des gegenseitigen „Beschnupperns“. Nach den ersten 150 km wurde klar, dass wir und das Tandem richtig gut „funzen“ (gleiche Trittfrequenz und trockner Humor). So rollten wir nun mit viel Spass und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h durch die Schweiz, rein in den Schwarzwald (D), zurück in die Schweiz, entlang am Bodensee, kurze Ecke durch Österreich, rein nach Lichtenstein. Ab Lichtenstein war in meinem Gesicht kein Lächeln mehr zu sehen. Vom Bauchnabel abwärts ein grosser Schmerz und wir hatten die Hälfe der Strecke geschafft. War das jetzt die so genannte „Kopfsache“, wie sollten solche Schmerzen im Kopf entschieden werden? Oliver ertrug mit einer bewundernswerten Ruhe und Gelassenheit mein Gejammere. Er steuerte uns sicher zum Checkpoint 5 (340 km) in Sargans, wo wir nach reichlich 13 h (21.30 Uhr) Fahrt eintrafen. Ich war nicht Fisch und nicht Fleisch! Meine Gedanken gingen in Richtung aufgeben, aber beim Tandem hat da immer ein noch zweiter Mann ein Wort mitzureden und für Oliver kam das gar nicht in Frage! Seine Worte: „...ich fahr das Tandem nicht alleine bis Ziel!“.
In Sargans gab es zwei grosse Bettenlager, Küche, Waschräume etc. und man konnte sich Gepäck hinschicken lassen. Auf Grund meines körperlichen Zustands machten wir ein Nickerchen von einer Stunde, assen danach gemütlich Nudeln und zogen uns frische bzw. warme Sachen für die Nacht an. Reichlich zwei Stunden später, ca. 24.00 Uhr setzten wir uns wieder auf das Tandem und fuhren in die Nacht. Zu diesem Augenblick war ich sehr überrascht, dass die Schmerzen in meinen Beinen wie weggeblasen waren, von nur 1 h Schlaf – abgefahren! Naja ich traute mir gar nicht laut drüber zu reden, da ich nicht wusste wie viele km dieses schmerzfreie Gefühl anhält!
So radelten wir durch die Nacht, unterhielten uns und lachten über dies und das. In diesem Zustand der körperlichen Dauer- bzw. Überlastung steigerte sich unserer schwarzer Humor ins unermessliche und wir konnten herzlich drüber lachen. Besonders bei den Checkpoints hatten wir viel Spass. Da wir nicht den Anspruch hatten, irgendeine bestimmte Stundenzahl zu knacken, sind wir an so manchem Checkpoints öfters länger hängen geblieben. Besonders Checkpoint 7, Samstag früh 6 Uhr, 475 km bei einer Fahrzeit von 22 h.
Als noch unserer vogtländischer Freund „Fränki“ völlig fertig ankam, fand das „Sprücheklopfen“ seinen Höhepunkt. So lagen wir mit glassigen Augen, gepuscht vom Kaffee lachend auf dem Parkplatz. Als wir uns endlich vom Checkpoint 7 aufrafften, war ja so langsam das Ende der „kleinen Rundfahrt“ in Sicht. Aber bis zum nächsten Checkpoint (525 km) ging es noch mal permanent bergauf und so langsam wusste ich nicht mehr wie ich sitzen sollte. Ankunft Checkpoint 8, der letzte Anstieg war Geschicht, die Sonne schien und er Ausstoss von Glückshormonen war grenzenlos. Jetzt waren es ja „nur noch“ 80 km, wie sich Relationen doch verschieben können.
Angestachelt von der Sonne und der guten Laune fingen wir an die letzten 80 km „full Gas“ zu fahren. Als wäre es der letzte Sprintkilometer, pendelten wir uns auf einen 40iger Schnitt ein und gaben noch mal alles!
Zieleinfahrt (nach 28 h) ähnlich wie der Start, keine Moderation oder irgendein TAM TAM. Wir erhielten noch schnell einen Sonderpokal für das einzigste Tandem und gut war.
Resümee: Danke Oliver, dass Du mich zu diesem schönen „Höllentrip“ mitgenommen hast.
Sebastian Frenzel